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Aphorismen

Sei gegrüßt Leonard,

wie du sicherlich anhand meiner wenig verschleiernden Mailadresse (sie macht keinen Hehl, den Namen zu offenbaren) bereits vermutet hast, bin Ich derjenige der schreibt. Lange ist es her, viel länger fühlt es sich an, dass wir uns gesprochen haben.

Das letzte Mal, an das ich mich zu erinnern vermag, war der Sommer vergangenen Jahres vor dem Antlitz des Universitätsgebäudes auf dem die Anschrift prangt „Die Wahrheit wird euch frei machen“. Diese verheißenden Worte, die ich stets aus dem Augenwinkel (binokular oder mononukolar oder metaphysisch) zu erblicken trachte, wenn meine Perspektive es zulässt, entstammt ursprünglich dem Johannesevangelium. Dort lautet die ungekürzte Passage wie folgt: „Da sprach nun Jesus zu den Juden, die an ihn glaubten: So ihr bleiben werdet an meiner Rede, so seid ihr meine rechten Jünger und werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch freimachen.“ Doch wer will stets alles in Kontext oder Begriffen fassen? Wer will zu- und unterordnen, alsdann unfrei machen? Der sezierte Satz, der losgelöste gleichsam befreite Satz oder treffender der Satzinhalt, Satzsinn ist soviel reichhaltiger an Kraft und Bedeutung, wenn wir ihm seine Unabhängigkeit zugestehen oder seine Abhängigkeit niemals glauben. Wie viel geht der Wahrheit verlustig, wenn wir sie in Situation und Kontext zwängen, wo sie der Definition zu Liebe an den Kanten abgeschliffen wird. Wo doch ein jeder denkende Mensch einstweilen eingestehen musste, wenn es auch seinen Stolz kränkte, dass erhabene Ideen wie Wahrheit, Freiheit, Liebe, Macht und dergleichen omnipräsent-All-erfüllend streben und in allen Erscheinungen und Nicht-Erscheinungen in allem Dinglichen und Sinnlichen, in einem Teil und seinem Gegenteil ja gleichsam im Widerspruch nicht nur enthalten, sondern gar behalten sind. Wer sie in Form zu drängen sucht, tut ihrer Ganzheit abklang und wird unweigerlich ihren Sinn und deren Wesen weit verfehlen. 

Da hat sich unser Gespräch, es war von keiner erwähnenswerten Dauer, in unbewusster Bewusstheit im Schleier solch großer Sinnlichkeit zugetragen und uns so viel weniger berauscht als eine Rückschau und ein Rückfühlen ein wesendes Sich-Erinnern es zu berauschen vermag. 

Doch was ist Erinnerung? Episodische Erinnerungen wie sie die Neurowissenschaft (eine positivistische Perspektiven) verstehen, sind nicht leicht validierbar. Meine Erinnerungen an unser Zusammentreffen, das wie man annehmen muss zufällig aber in gewissem Maße wahrscheinliche sich ereignete, können sehr verschieden von derjenigen Erinnerung sein, sofern du überhaupt dich erinnerst. Das episodische Gedächtnis ist höchst persönlich, höchst selektiv, spezifisch und möglicherweise/naheligenderweise falsch. Und gerade diese Erinnerungen machen die Geschichte aus, die wir selbst über unsere Vergangenheit erzählen. So wir es umso verständlicher, dass der Rausch der Reproduktion und der Erinnerung den Rausch des vergangenen Erlebens – ob interpretiert oder nicht – übersteigt obschon er an sich in einem kognitiven Erlebt-Haben konserviert sein muss, da er ansonsten nicht bewusst wiedererlebt werden kann. So ist auch in diesem Verhältnis das Prinzip der Reziprozität gewahrt.

Warum mir dieses Ereignis so lebhaft belebt im Gedächtnis blieb und bleiben wird, weiß ich nicht zu sagen. Jedenfalls wurde mein Erinnerungsvermögen erst kürzlich, genaugenommen vor zwei Tagen, durch das Zusammentreffen mit Greta stimuliert, die sich derzeit ja gleich mir in Berlin aufhält. Wir sprachen allerhand, verstanden und missverstanden uns auf köstlichste Weise, sodass es mich jetzt noch entzückt. Während unseres Streifens durch die Straßen der physischen und unserer kognitiven Wirklichkeit passierte das Wunderliche. Greta begann von einem eremitenhaften jungen Mann zu sprechen, der sich periodisch der Gesellschaft entziehe und einen, wie man zu meinen glaubt, einen puritanischen Lebensstil pflege, bis er den Drang verspüre dem Dionysischen zu frönen und in die Welt ausbreche. Natürlich hat mich das sehr angezogen und bis sich das Bild durch deinen Nahmen rahmte und leichter zu betrachten zugänglich wurde, ersonn ich mir die schönsten und seltsamsten Geschichten und fragt mich, wer dieser wundersame Kerl denn sei. 

Du bist es und ich bin es der dir schreibt und das ist der Beginn einer Geschichte deren Protagonisten wir gewesen sein werden.


Das Gefühl erklingt erst mit dem Ton der angeschlagenen Saite. Nur unter zitterndem Schwung wirr-geordneter Bewegung kann es sich entfalten. Und so vermag es das Seitenspiel wundersame Melodien zu komponieren. Erstarrt die Seite, verstummt auch das Gefühl. Der bloß ruhenden, gespannten Seite gelingt es nicht, zu im Tönen zu wirken. Dennoch ist man geneigt, die angespannte Ruhe als Laut zu verklären. Diese Halluzination entsteht durch die Lust am Gefühl. Wie bitter ist uns ihre Enttäuschung.


2. Zur Wertschätzung, Empathie,:

2.1 Wertschätzung, Empathie: eine kostbare Erfahrung voller Sentimentalität, ein Zugang zum Menschen, zu seiner Seele, Einfühlen schafft Nähe, Nähe ermöglicht Verstehen, Identifizieren-. Liebe deinen Nächsten für seine einzigartig schöne Seele, für die liebliche Art, auf die er empfindet und das Leben begreift, das Leben lebt, indem etwas in ihm wirkt und in irgend einer Art Erwähnung findet (Gespräch, Kunst, Bewegung, Gestik, Mimik. Schaut man genau hin, schwingt in Allem unbewusst Geäußerten oder Verkörpertem ein tiefer Ausdruck deines Nächsten selbst mit). Selbstvergessenheit ist Aufrichtigkeit, Selbstvergessenheit und Zerstreuheit bedeuten Gelassenheit.

2.2 Verschiedene Räume fordern unterschiedliche Identitäten, diese Identitäten entsprechen nicht dem Ich im Sinne eines wahren Selbst.

Einen Menschen zu kennen und zu verstehen ist zugänglicher und leichter als sich selbst zu verstehen und zu kennen. Viele Menschen betrügen sich selbst, weil sie die als von Situationen, Konventionen (gesellschaftlich wichtigen, notwendigen Räumen) gefordert empfundenen Verhaltensmuster (Regungen müssen in einen schattenhaften, dunklen Teil des Selbsts zurückgedrängt werden) für sich selbst halten. Wer diesen Zwiespalt erkennt und den zuweilen nötigen Betrug (zumindest nach außen, nicht zwangsläufig nach innen) erkennt, erlebt eine Identitätsdiffusion. Suche er aufrichtig nach sich selbst, tue er was er fühle und lasse er sich durch das einfühlen in andere, das Selbstwerden und Selbstlieben des Anderen, die Verschmelzung mit seinem Selbst und Zarten Geist (Einheit der Gefühle, die durch sukzessive Annährung beinahe bis zum völligen Koitus, Assimilieren geseigert werden kann) inspirieren. Beachte er dennoch stets, dass er ein eigenes autarkes, autonomes Wesen ein Individualselbst ist, welches sich eben dadurch konstituiert, wie es eine Bewusstwerdung dessen erfährt, wie es die Welt unbewusst begreift und empfindet und übersetzt und mitteilt. Sonst läuft der Mensch Gefahr sein ich durch eine Auflösung zu vergessen. Perenierende Selbstliebe und Selbstbewusstsein sind die Voraussetzung für Fremdenliebe, Achtung, Gelsassenheit, die Fähigkeit zu Sein und gleichsam Sein-lassen zu können. 

2.3 Wie die Dinge auf den Menschen wirken, wie er sie erträgt oder sich daran reibt, das ist der Mensch, diesen Menschen durch Mitgefühl zu erfahren und zu erfühlen ist die einzige Möglichkeit ihn vollkommen zu durchdringen, zu erkennen wie und wer er ist (Gefahr der Auflösung, Verschmelzung: differenzierte Betrachtung verhindert die uneingeschränkte Durchdringung des nächsten, undifferenzierte Betrachtung neigt zur nivilierung des eigenen und des nächsten selbst: Kongruenz, Assimilierung)

2.4 Im Kern ihres Selbst sind Menschen grundsätzlich verschieden (das ist der wahre individualismus). Das Ich und das Andere sind konsensfähig. Es gibt nur Konsens über das, wonach das vegetative vermögen strebt (Bedürfnisse: die gierige Natur des menschen lässt keine eindeutige definition zu, inwiefern ein Bedürfnis normiert werden kann – Mehrhabenwollen-Anpassung an Umstände-Grundbedürfnisse vs. Luxus, wo ist die Grenze?). die Bedürfnisse des Menschen entsprechen nicht seinem Selbst, sie dienen der Erhaltung oder Steigerung des Selbst (instinktiver Wille zur Macht-Narzismus-urtümliche Egozentrik). Der mensch ist ein zwiegespaltenes Wesen. Seine Teile stehen im Widerspruch zueinander (Bedürfnisse und Selbst). Vegetatives Vermögen wird durch einen seltsamen Gefühlstypus stimuliert. Die gier kann durch das selbst mit seinem Intellekt besiegt werden. der Intellekt ist egoistisch, da er ein Werkzeug ist, dass der Selbsterhaltung (primitives Motiv, evolutionäre Bedingung von Existenz,) dient.

2.5 Der unzauslöschbare, unumgängliche, nicht überwindbare Zwiespalt, der gleichsame Widerspruch des Menschen muss narkotisiert, betäubt, geleugnet werden um zu vereinsamen.

Der Mensch ist einem Identitätsstreben, der die Eigenschaften eines Zwanges aufweist, ausgesetzt.

Er ist ein Reservoir menschlicher Zwecksetzung, er mensch muss angeeignet werden, er wird zum Instrument, zur Orthese, der Mensch wird reduziert, auf den Nutzen den er bringen kann, der Mensch wird verklärt, er wird wertvoll, weil er zur Projektionsfläche taugt, zum euphemisierenden Spiegel, der es vermag über die eigene Fehlbarkeit hinwegzutäuschen, der Mensch wird romantisiert, der falsche Spiegel befriedigt die narzisstischen Ansprüche der eitlen Seele- ein süßer Selbstbetrug.

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